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Website Thomas Abel

Wer schnitt van Gogh's Ohr ab? 

In Paris, wo er bei seinem Bruder Theo lebte, hat der damals weitgehend unbekannte 32-jährige Vincent van Gogh viele bedeutende Gegenwartskünstler kennen-gelernt, darunter Paul Gauguin und Henri de Toulouse-Lautrec. 

Auch hat er sich mit dem Impressionismus vertraut gemacht und die eigene Farbpalette von vielen Schatten befreit.

Aber die Großstadt wird ihm zusehends zum Gefängnis, ihre Hektik zur psychischen Belastungsprobe. In den nervösen Künstlerkreisen, in denen er sich aufhält, kommt es oft zu Streitereien. 

Van Gogh entscheidet sich zur Flucht in Frankreichs Süden. »Als ich vom Gare du Midi von Dir wegfuhr«, schreibt er später an seinen Bruder, »war ich beinah krank und beinah ein Säufer, weil ich mich so kaputt gemacht hatte«.

Ein Aufbruch in ein neues Leben also. Und kann er sich nicht in Arles auch einen alten Traum erfüllen – den von einer großen Künstlerkolonie, von einem produktiven »Atelier des Südens«?

In Briefen fordert Vincent seine Kollegen auf, es ihm gleich zu tun und in Frankreichs Süden zu kommen.

Es ist freilich nur Paul Gauguin, den er im Oktober 1988 dorthin locken kann. Dafür, dass er kommt, übernimmt sein Bruder Theo van Gogh die Reisekosten und sagt ihm (Gauguin) finanzielle Unterstützung zu.

Am 23. Oktober 1888 schließlich kommt Gauguin in Arles an.

Beide erlebten zwar eine künstlerisch fruchtbare Periode, doch es kam immer öfter zu Spannungen. In ihrer gemeinsamen Zeit entstanden Bilder, die damals belächelt wurden und heute unbezahlbar sind.

Doch nach neun Wochen scheiterte das Experiment endgültig. »Vincent und ich können aufgrund der Unvereinbarkeit der Temperamente absolut nicht ohne Zwistigkeiten nebeneinander leben«, beklagte sich Gauguin bei Theo van Gogh.

Der Konflikt eskalierte in der Nacht des 23. Dezembers.  Am Tag darauf hatte van Gogh nur noch ein Ohr.

              

Was war geschehen?

Wieder einmal kam es zum Streit zwischen van Gogh und Gauguin.  Da wirft van Gogh Gauguin ein Glas ins Gesicht.

Am folgenden Tag, Gauguin geht durch die Straßen der Stadt, hört er schnelle Schritte hinter sich; er dreht sich um und sieht van Gogh mit seinem Rasiermesser in der Hand auf sich zukommen. Ab hier unterscheiden sich die verschiedenen Versionen des weiteren Herganges:

      

Version 1:

… Gauguins zwingender Blick lässt ihn innehalten. Danach sei van Gogh nach Hause gerannt. In seinem Zimmer angelangt, schneidet er sich mit dem Rasiermesser ein Ohr ab, wickelt es in ein Taschentuch und geht wieder fort, um es einem Bordellmädchen zu bringen ...

Gauguin verließ Arles fluchtartig und machte sich auf den Weg nach Paris. In seinen Memoiren »Vorher und Nachher« schrieb er später, »... der irrsinnig aufgebrachte Freund sei ihm nachts durch Arles gefolgt und habe ihn mit dem Rasiermesser angreifen wollen«.

      

Version 2:

Bei dem nachfolgenden Streit auf der Straße gerieten Gauguin und van Gogh unweit des Bordells so aneinander, dass Gauguin den Degen zog und ihm dabei das Ohr abschlug.

Der verstörte van Gogh gab das Ohr dort (im Bordell) ab, bevor er heimkehrte, während Gauguin im Hotel übernachtete und erst am nächsten Morgen noch einmal zum ›Gelben Haus‹ zurückkehrte, wo er vom Kommissar verhört wurde.

Van Goghs letzte Worte an Gauguin: »Sie sind schweigsam, und ich werde es auch sein!« sind überliefert.

van Gogh, gemalt von Paul Gaugin


Was trieb van Gogh zu seiner Tat? Oder war es gar Gauguin, der dem damals 35-Jährigen das Ohr im Duell absäbelte?

Ein bisher unbekannter Artikel über den Vorfall könnte Licht in dieses Rätsel bringen. Die in Arles beheimatete Wochenzeitung »Le Forum Républican« hatte berichtete:

„23. Dezember 1888, Arles, Südfrankreich: Der Künstler Vincent van Gogh, arm und unbekannt, schneidet sich im Streit mit Malerkollege Paul Gauguin einen Teil seines linken Ohres ab.“

Bisher war nur dieser Artikel über die (Selbst-)Verstümmelung bekannt. Ein Journalist (Martin Bailey, ›The Art Newspaper‹) stieß auf einen Artikel in der Pariser Tageszeitung »Le Petit Journal« vom 26. Dezember 1888:

Diesem Bericht zufolge habe »jemand namens Vincent, ein Malkünstler aus Holland, ein mit einer Rasierklinge abgeschnittenes Stück seines Ohres, eingeschlagen in ein Stück Papier, dem Türsteher eines Hauses mit schlechtem Ruf (also einem Bordell) überreicht“. 

Auch ein Kommentar des Malers wurde in ›Le Petit Journal‹ überliefert: »Nimm das, es wird nützlich sein«, soll van Gogh gesagt haben. Danach sei er wieder gegangen.

Bemerkenswert, dass der Artikel in einer Pariser Zeitung erschien, mehr als 600 Kilometer von Arles entfernt. 

Doch für van Gogh´s Bruder Theo, welcher in Paris lebte und dort eine Galerie betrieb, dürfte es unangenehm gewesen sein, dass selbst in der Hauptstadt über den Vorfall berichtet wurde.

Nach der Tat wurde van Gogh in das Krankenhaus in Arles gebracht, wo er wegen des Blutverlustes zwei Wochen lang behandelt wurde. Gauguin reiste wie schon oben angeführt am Tag nach dem Vorfall ab. Van Gogh blieb alleine in Arles zurück.

                

Die Verstümmelung des Ohres war der Anfang vom Ende des Malers:

Im Sommer 1889 ließ sich Vincent van Gogh freiwillig in eine Heilanstalt in Saint-Remy-de-Provence einweisen. Auch in der Anstalt arbeitete der Künstler weiter. Da er jedoch immer wieder Anfälle erlitt, bei welchen er Farben verschluckte, um sich zu vergiften, wurde ihm das Malen zwischenzeitlich untersagt.

Im Mai 1890 verließ Vincent resigniert Südfrankreich und reiste nach Auvers-sur-Oise, wo er sich in die Obhut von Dr. Gachet begab.

Am 27. Juli 1890 schoss er sich in die Brust, zwei Tage später, am 29. Juli 1890, starb er an seinen Verletzungen.

       

War er Selbstmord oder war es Mord oder Totschlag???

Bis heute wird auch über die Ursachen seiner Krankheit spekuliert. »Die Traurigkeit wird ewig dauern«, sollen seine letzten Worte gelautet haben.

siehe auch hier: